Mein Vorlesungsplan steht, die ersten 4 Wochen sind vorbei: Wie ist mein Eindruck? Ist es einfacher, praktischer und auch interessanter? Diese Frage habe ich mir selber gestellt und habe mich auf die Suche nach einer Antwort gemacht…Damit dies nicht zu langatmig wird, habe einige Eindrücke von Montreal vom letzten Sonntag eingefügt.

Die École Polytechnique Montréal ist für ihr Ingenieurstudium im Ausland bekannt. Es sind sehr viele Franzosen, einige Belgier, viele aus Schwarzafrika und aus den ‘West-Indies’, z.B. Martinique. Chinesen sind hier fast gar nicht anzutreffen. Ich höre drei Bachelor-Vorlesungen und eine Vorlesung aus dem Master-Bereich. Der Bachelor umfasst hier vier Jahre und ist der allgemein-annerkannte Abschluss. Der Master hingegen wird nur von wenigen Studenten wahrgenommen; er umfasst weitere zwei Semester Vertiefung. Im Bachelor lernt man nach meiner Einschätzung das Handwerk, z.B. Programmiersprachen. Der Master befasst sich mit allgemeineren und theoretischeren Themen. Man kann ihn auch ‘en recherche’ (in der Forschung) absolvieren und gut Geld verdienen. Dann dauert er aber zwei Jahre. Die Betreuer der einzelnen Praktika sind durchweg Masterstudenten. Mit Doktoranden hatte ich bisher noch keinen Kontakt.

Die Vorlesungen sind drei Stunden lang und werden von Mitarbeitern der Insitute oder Privatdozenten gehalten. Nur in einem Fall hält der Professor die Vorlesung selbst. Alle bedienen sich dem Mittel der Powerpoint-Präsentation; diese kann anschliessend online heruntergeladen werden. Ein gekauftes Skript in Buchform gibt es leider nicht. Es werden aber Skripte im Buchladen der Universität für andere Kurse angeboten. Dabei schwankt die Qualität von übersichtlichem Latex bis hinab zu handgeschriebenem Gekrakel. Die Vorlesung besteht immer aus einem Kapitel mit Übungen, die an der Tafel gelöst werden. Es kommt also durchaus vor, dass der Dozent die Funktionsweise eines D-Flip-Flops ausführlich erklärt oder die im Praktikum genutzte Software Schritt-für-Schritt durchgeht. Am Mittwoch haben wir z.B. einen Film (45 Minuten!) über die Herstellung von Prozessoren angeschaut – von 1986. Der Lerneffekt hielt sich in Grenzen aber die unfreiwillige Komik sorgte für jede Menge Heiterkeit. Immerhin weiß ich jetzt, dass die Herstellungsprozesse sich in 20 Jahren kaum verändert haben (im Vergleich zum Fachpraktikum ‘Flachbildschirme’).

Jede Vorlesung hat sein Praktikum samt Praktikumsbericht und Kolloqium. Dies erfordert sehr viel Arbeit (4 Mal in der Woche!) und regelmässige Treffen mit seinen Kollegen. Gruppenarbeit wird sehr hoch geschätzt und auch forciert (was anscheinend z.B. bei Diana in Toronto nicht der Fall zu sein scheint…). Wenn man abends gegen 8 Uhr das Praktikum verlässt brennt in vielen Praktikumsräumen noch Licht und es sind überall Studenten noch am arbeiten.

Jetzt wirds sehr technisch, wer nicht vom Fach ist: durchhalten oder den nächsten Absatz überspringen :-)

Zum Inhalt: ich habe mich für Fächer entschieden, die in Stuttgart am ehesten in die Technische Informatik einzuordnen sind; hier heisst das Mikro-Elektronik. Wer sich an TI 1 errinnern kann: hier wird Assembler-Code wie beim Thema CISC vs. RISC und VHDL (‘Entwurf Digitaler Schaltungen’) verwendet. Die Vorlesungen helfen in dieser Hinsicht nicht wirklich weiter; das Wissen wird vorrausgesetzt oder lediglich kurz wiederholt. In einer meiner ersten Vorlesungen hat es mich dann auch gleich kalt erwischt: es wurde ein unangekündigter Test geschrieben. Zwei Aufgaben VHDL und eine in der Sprache C. Die C-Aufgabe habe ich mit Java-Code gelöst und auf der VHDL-Seite habe ich einen kurzen Brief in rudimentären Französisch an den Professor verfasst. Dies habe ich dann so abgegeben und seitdem nichts mehr davon gehört….bis er vor kurzem freundlich nachfragte, ob auch wirklich ALLE mit dem Praktikum klarkommen. Dabei schien er jemanden im Publikum zu suchen..ob er wohl mich meinte?

Das Praktikum habe ich bisher nur bestehen können, da ich kompetente Kollegen gefunden habe. In fast allen Fällen schreiben sie den gesamten Code alleine, währrend ich die Schritt für Schritt-Anweisungen in der Aufgabenstellung durchführe oder den Praktikumsbericht schreibe. Die Aufgaben sind wirklich anspruchsvoll und durchaus mit unseren vergleichbar (wenn man jetzt vom Djkstra-Algorithmus absieht…. :-) ).

Aber um abzuschliessen: hier wird sehr Anwendungsnah unterichtet. Die Bachelorstudenten beherschen die verwendete Software, die notwendigen Programmier-sprachen und können auch komplexe Aufgaben im Team lösen. Was meiner Meinung nach dem Begriff der gesamtheitlichen Ausbildung zum Elektrotechnikingenieur jedoch fehlt: sowohl die Breite als auch die Tiefe. Mit Bachelorstudium ist man hier schon sehr spezialisiert; Fächer aus anderen Vertiefungen, wie man sie in Deutschland kennt, sind hier nicht vorgesehen. Bei der Mikro-Elektronik bedeutet dies, dass die Studenten mit Solarzellen, Asynchronmaschinen und Smith-Diagrammen nichts anfangen können. Herleitungen findet man hier (fast) keine. Sie sind auf eine Aufgabe spezialisiert und führen diese kompetent und verlässlich aus. Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen hier genau solche Leute suchen.

Posted by markus. Datum: September 26, 2008 | No Comments »

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